Hinter den Kulissen von Europa
Ein Dutzend Mitglieder des Pressevereines begaben sich zu einer EU- und NATO-Informationsfahrt nach Brüssel – und trafen dabei den Dalai Lama.
Am Vormittag gibt der Dalai Lama eine Pressekonferenz, am Nachmittag spricht der belgische Premier Guy Verhofstadt vor dem EU-Parlament über die Zukunft Europas. Hinter den Kulissen wird mit Ägypten über Handelsabkommen gefeilscht und mit der NATO über Kompetenzen bei internationalen Friedensmissionen. Mittendrin ein Dutzend Journalistinnen und Journalisten vom Niederrhein, die sich berauschen lassen von internationalem Flair in der Brüsseler EU-Zentrale und dem Stimmengewirr aus über 20 Übersetzerkabinen.
Aber was hat EU-Außenpolitik mit Lokaljournalismus zu tun? Dieser Frage spürte der Presseverein Niederrhein-Ruhr an zwei Tagen in Brüssel nach. Die Reise, organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Büro des EU-Parlamentariers Klaus Hänsch, brachte überraschende Einsichten.
Etwa die: Europa ist viel weiter, als daheim wahrgenommen wird. Während in Deutschland die EU-Osterweiterung noch nicht verdaut ist, knüpft Brüssel längst schon Kontakte mit Marokko oder Aserbaidschan, um rund um die EU einen Ring von politischen und wirtschaftlichen Partnern zu bilden. Die neutrale Schweiz ist über ein Dutzend Verträge fest in das EU-Geflecht eingebunden und gilt sogar als Netto-Beitragszahler.
Während die EU von daheim aus oft als unübersichtlicher, Geld verschlingender und ineffizienter Moloch wahrgenommen wird, trifft man in Brüssel auf Optimisten, die an einer Vision europäischer Zukunft arbeiten. „Wir vertreten 450 Millionen Menschen in der EU – mehr als in den USA und Russland zusammen leben“, so Ralph Kaessner, Referent beim EU-Ministerrat. Die EU werde künftig politisch und wirtschaftlich eine stärkere Rolle spielen.
Doch bei aller Europa-Euphorie: Warum nehmen die Akteure in Brüssel die Menschen in ihren Mitgliedsstaaten so wenig mit? Darum drehte sich auch die Diskussion mit dem Düsseldorfer EU-Abgeordneten Klaus Hänsch (SPD), 1994 bis 1997 Präsident des Europäischen Parlamentes. Während die EU-Politiker gerne beklagen, mit ihren Themen in den Heimatredaktionen kein offenes Ohr zu finden, verlangte die Journalistenrunde vom Niederrhein nach mehr Impulsen.
Denn EU-Themen wie Wirtschafts- und Verkehrspolitik, der Kampf gegen organisierte Kriminalität oder die Zukunft der Energieversorgung, lassen sich problemlos und spannend auf die lokalen Verhältnisse herunter brechen. Die alte angelsächsische Regel „all politics is local“ gilt auch auf EU-Ebene. Fazit: Hier können Presse und Politik mehr aufeinander zugehen und voneinander lernen.
Die Bilanz nach zwei Tagen Brüssel war einhellig: Es hat sich mehr als gelohnt, über den lokalen Tellerrand hinaus zu schauen und sich den Kopf frei blasen zu lassen. Bei nächster Gelegenheit wollen die beteiligten Journalistinnen und Journalisten den Austausch auf anderer Ebene – zum Beispiel mit der Bundespolitik – fortsetzen.
© 2006 Michael Jung
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